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Ich bin ein göttlicher Hanswurst

Theater Naumburg

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Rainer Lewandowski - Ich bin ein göttlicher Hanswurst
Nietzsches Nacht der Erlösung

Uraufführung

Der gealterte Friedrich Nietzsche hockt in seinem kleinen, engen Zimmer in Naumburg, zündet eine Kerze an und legt eine Platte auf das Grammophon. Er lauscht seinem eigenen Klavierduett „Nachklang einer Silvesternacht“, schließt die Augen, erinnert sich, mehr noch – er zieht Bilanz. Was ist, was war wahrhaftiges Leben? Zwei Figuren tauchen auf: der radikale Fritz, der als Nietzsches Geist mit sich und seinen Zeitgenossen hart ins Gericht geht und seine Schwester Elisabeth, Nietzsches gefühlsmäßige Verbindung zur realen Welt. Die beiden geraten in einen Disput über Friedrichs Seelenheil, der wiederum seelenruhig an seinem letzten Abend seinen Lebensfilm an sich vorüberziehen sieht. Der letzte Abend im Leben von Friedrich Nietzsche, dargestellt als ein musikalisches Endspiel, als eine Groteske über eine schillernde Lebensbilanz. Die Zuschauer sind hautnah dabei, bei einem Abschied nehmenden Menschen. Zentrale Motive sind seine Beziehung zu Richard Wagner, dessen Erlösungssehnsucht Nietzsche teilt und die unerfüllt gebliebene Sehnsucht nach Liebe. Er legt die gewaltigen Musiken seines verehrten Freundes auf und erinnert sich wie Krapp in Becketts „Das letzte Band“. Was bleibt am Ende eines Lebens – dieser letzten Nacht? „Wenn Du die Wahrheit sprichst, so verliere ich nichts, wenn ich das Leben verliere.“



Regie: Martin Pfaff
Bühne, Kostüme & Figuren: Andreas Becker

Premiere: 23. Februar 2013 





Presse:


…„Zerzaust und sichtlich verwirrt sieht er aus, der alte Mann auf der Bühne. Wie er den Worten lauscht, die dieser kleine grüne Gnom mit riesigem Kopf über den Zauber des Dionysischen schwülstig formuliert. Interessiert, aber auch irgendwie stumpfsinnig. "Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches". Dass es dieser trostlose Greis selbst war, der einst als Jungspund jene pathetischen Sätze abfasste, kann er nicht wissen. Seine geistige Zurechnungsfähigkeit kam ihm schon vor elf Jahren abhanden. So bleibt er nunmehr sprachlos, als berufsmäßiger Unruhestifter im erzwungenen Ruhestand: Friedrich Nietzsche (Holger Vandrich) in seinen letzten Lebensstunden. (…) Geblieben ist ihm zur Pflege nur noch seine Schwester (Katja Preuss), die am Werk des siechenden Friedrich herummanipuliert und sich einen bissigen Schlagabtausch mit Fritz liefert. Fritz (Betty Wirtz), das ist der erwähnte Wicht, der als Nietzsches Alter Ego umhergeistert, um die Erinnerung an intellektuell lichtere Tage wachzuhalten und ihrer Verfälschung durch die mit Hassliebe bedachte Elisabeth entgegenzuarbeiten. Was ihm nicht gelingt, denn bewaffnet mit Schere und Klebstoff, schneidet die glühende Antisemitin einfach weg, was ihr nicht passt und flickt sich die Zusammenhänge nach Gutdünken neu zusammen, bis sie schließlich sogar anschlussfähig werden für die Nazi-Ideologie.Entsprechend antagonistisch teilt sich die Bühne in zwei Räume. Da wäre der leidende, in einem Glaskasten – der an seinen Naumburger Balkon erinnert – vor sich hin delirierende Nietzsche, ein in sich selbst gefangenes Subjekt. An der Wand steht "Ecce Homo", was nicht nur der Titel seiner Autobiographie ist, sondern im Deutschen auch programmatisch passend bedeutet: "Siehe, der Mensch!" In einem Außen agiert der weise Fritz, der als nietzscheanische Jukebox daherkommt. Elisabeth wandelt zwischen diesen Welten, bisweilen tun dies jedoch auch die beiden Nietzsches. Symbolisiert wird damit das den Abend wesentlich kennzeichnende Abwägen zwischen dem von Nietzsche als das Apollinische bezeichneten traumhaft-scheinbaren, durch zuchtvolle Ordnung Gekennzeichneten (außen) und dem enthemmt-rauschhaften Dionysischen (innen).
Persönliche, tiefenpsychologisch bedeutsame Lebensstationen spiegeln sich stetig in diesem Kampf der beiden Dimensionen. Besonders viel Zeit nimmt die Aufarbeitung privater Scharmützel zwischen Friedrich/Fritz und Elisabeth ein. Da geht es in einer durch stürmisches Drehen der Vitrine plastisch dargestellten inneren Raserei um sein explosives Verhältnis zu Richard Wagner, seine ebenso leidenschaftliche wie erfolglose Schwärmerei für Lou von Salomé oder das Verhältnis der Geschwister zur Mutter. Einmal wirkt Nietzsche sogar urplötzlich komplett genesen und spaziert vergnügt durch Naumburg. In Kombination mit Betty Wirtz als Puppenspielerin, die dem wild räsonierenden Fritz durch expressive Intonation und variantenreiche Gestik eine Seele verleiht, erzeugt dieses siebzigminütige Gewimmel eine nebulöse Traumlandschaft.
Auf Authentizität hat es Regisseur Martin Pfaff ohnehin nicht abgesehen. Davon zeugt zum einen die betonte Überhöhung von Kostümen und Maske. Wenn sich Elisabeth beim eifersüchtigen Wüten gegen Lou mal eben als Monster maskiert oder Friedrich sich den typischen Schnauzer abreißt und ihn seinem anderen Ich aufsetzt, dann wird damit dem Abend geradezu ostentativ jede reale Ebene entzogen und stattdessen ein assoziatives Feuerwerk gegeben. Ähnlich verhält es sich beim Umgang mit den historischen Fakten. Weder starb Nietzsche in Naumburg, noch konnte er im Endstadium gehen oder gar sprechen. Sei's drum: Wenn der Gnom im Glaskasten mit seinem geisteskranken Ich heftig kopuliert oder sich von diesem wie ein Baby zärtlich wiegen und streicheln lässt, während er selbstsicher aus dem eigenen Œuvre zitierend die Umwertung aller Werte fordert, dann lässt sich die intellektuelle Wucht seiner Ideen anschaulich erahnen."


Nachtkritik, 10. März 2013





…„Ein zum Zuschauerraum hin transparenter Würfel mit einer Seitenlänge von kaum zweieinhalb Metern bildet den Kopfkäfig für das lethargisch-hospitalistische Philosophentier. In einem Kubus vegetiert es – wie das historische Original wohl formuliert haben würde – als sein eigener Schatten. (…) Das Stück „Ich bin ein göttlicher Hanswurst“ von Rainer Lewandowski ist ein Auftragswerk des Theaters Naumburg und in der Regie von Martin Pfaff sowie in der Ausstattung von Andreas Becker ein Kammerspiel in des Wortes buchstäblicher Bedeutung. Imaginiert wird Nietzsches letzte Nacht, in der sich sein Leben vor seinem geistigen Auge noch einmal so abspult, wie es von Ertrinkenden behauptet wird. Dieser in seiner Geisteskrankheit eingewobene Friedrich Nietzsche, in weltabgewandter Verlorenheit von Holger Vandrich trefflich verkörpert, bleibt stumm, winselt ein paar unzusammen-
hängende Worte und schaut selig in eine unbekannte Ferne. (…) Der Auftritt von Nietzsches Schwester Elisabeth schmerzt: Denn mit ihrem Erscheinen wird der irre Brutkasten ihres Bruders von weißem Neonlicht erhellt. (…) Zur Rüschenbluse trägt Elisabeth gelbe Gummihandschuhe. Nicht der Hausarbeit sondern der Nietzsche-Philologie wegen: Mit Inbrunst zerschneidet sie ihres Bruders Manuskripte und setzt sie neu zusammen. (…) Katja Preuss verpasst Elisabeth überzeugend den Charme eines Königsberger Fischweibs, das zu wissen glaubt, was die Nachwelt von ihr erwartet. Und nervt das sabbernde Bruderherz zu sehr, so setzt sie ihm einen Kopfhörer auf, in dem Wagners „Ritt der Walküren“ galoppiert. Der Wahnsinn ist ein Panikraum, aus dem es kein Entkommen gibt. Damit das Leben und Werk Friedrich Nietzsches auch in diesem Stück erzählbar bleiben, gibt es neben er heiligen Elisabeth noch jenen Homunculus, der wie ein außerirdischer Embryo daherkommt, aber letztlich als Nietzsches Geist Fritz zu verstehen ist. Diese kindlich-grüne Greisenpuppe – die sogar auf des Philosophen Mauskripte pinkeln und als Lou Salomé mit Nietzsche den Koitus vollziehen darf – wird von Betty Wirtz geführt."


Mitteldeutsche Zeitung, 10. März 2013







…„
Die gelungene Uraufführung „Ich bin ein göttlicher Hanswurst“ zeichnet fiktiv die letzten Lebensstunden Nietzsches nach. - Im ersten Moment stockt dem Zuschauer im Theater Naumburg angesichts der Ähnlichkeit der Atem. Hinter einer Glaswand mehrreihig aufgefädelter Textblätter taucht ein Gesicht auf: der alternde Friedrich Nietzsche(…). Von seiner geistigen Umnachtung gezeichnet, reißt Nietzsche die Blätter nieder und gibt so den Blick in jene glastürige Kammer frei, in der er seine letzten Lebensstunden größtenteils dahindämmert. Schwankend kritzelt er auf die Glastür „Ecce homo“. „Siehe, der Mensch“. Genau das bekommt der Zuschauer zu sehen: den Menschen Nietzsche. (…) Noch einmal zieht an dem im Glaskasten ebenso wie in seinem umnachteten Geiste gefangenen Nietzsche sein Leben und Denken vorbei. Da geht es mit eingespielten Fotos auf einen Stadtrundgang durch Naumburg, wird das Verhältnis zur Mutter gestreift und spielt immer wieder seine Beziehung zu Wagner und seine unerfüllte Sehnsucht nach Liebe eine wesentliche Rolle. Ebenso ficht er mit seiner ihn in Naumburg pflegenden Schwester Elisabeth manchen Streit aus, wobei Elisabeth sich mit der Schere an seinen Schriften zu schaffen macht, die sie vorwurfsvoll als „Gedankensplitter“ und „Bruchstücke“ bezeichnet. Links außen neben dem im Glaskasten vor sich hinstarrenden Nietzsche sitzt sie und schneidet weg und setzt neu zusammen, wie ihr es passt.
In Nietzsches Sterbestunden liefern sich sein Alter Ego Fritz (als Puppenspielerin Betty Wirtz) und Schwester Elisabeth (Katja Preuß) einen Schlagabtausch. Was da fleißig auseinander gepflückt wird, erfährt der Zuschauer von Nietzsches Alter Ego Fritz. Das geistert als Baby mit greisenhaftem Antlitz (geführt wird die Puppe von Betty Wirtz) rechts von Nietzsches Glaskasten umher, zitiert aus Nietzsches intellektuellem Schaffen und gerät dabei (…) mit Elisabeth aneinander. (…) …das von Regisseur Martin Pfaff grotesk umgesetzte und von den Darstellen mit beachtenswerter schauspielerischer Leistung aufgeführte Stück „ist“ eine Hommage an den Philologen."


Naumburger Tageblatt, 25. Februar 2013





…„ Nietzsche schaut sich selbst über die Schulter. Ein großer Puppenkopf schmiegt sich an ihn und gemeinsam sehen beide in die Welt, die dem Philosophen immer weiter entrückt. (…). Ausstatter Andreas Becker hat auf die kleine, dunkle Bühne einen Kasten mit gläsernen Türen gestellt, die zunächst mit Buchseiten bedeckt sind. Ein Schatten-Mann reißt von innen einige Seiten herunter, schaut durch die so entstandene Lücke – Nietzsche (Holger Vandrich), der schließlich all die Druckseiten (…) auf den Boden befördert.
So beginnt das 70 Minuten kurze Stück mit dem doppeldeutigen Untertitel „Nietzsches Nacht der Erlösung“. Der Glas-Kasten auf der Bühne kann dabei Dachzimmer, Zelle oder Verlies sein, in dem der Philosoph die meiste Zeit so eingesperrt ist wie in die Welt seiner Gedanken. Aber da ist ja noch „Fritz – sein Geist“ – hier eine grünmarmorierte Puppe wie ein alterndes Kind, geführt und gesprochen von Betty Wirtz. (…)
Es gibt keine gradlinige Handlung, keine biografische Skizze, sondern ein vielfältiges Puzzle aus Erinnerungen, Assoziationen, Gedanken, Philosophien. Neben der Doppelfigur Nietzsche ist dessen Schwester Elisabeth (Katja Preuss) die Dritte im Bunde. Sie hütet und ordnet seine Schriften, pflegt den Bruder und streitet mit ihm. Beziehungsweise mit seinen Geist – denn der Philosoph bleibt meist stumm in seiner Zelle, nur für einen – mit heutigen Fotos illustrierten – Spaziergang durch Naumburg verlässt er den Raum für längere Zeit. Dieses Dreiecksspiel – Elisabeth spricht mit der Puppe über die Verehrung für und den Bruch mit Wagner, über die Familie, über Lou von Salomé, während Holger Vandrich als Nietzsche stumm dieser Welt schon entrückt scheint – ist reizvoll, weil immer wieder variiert."


Die Deutsche Bühne, 03. März 2013


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